In der Rockmusik ist der Tod allgegenwärtig. Ihre Ikonographie kommt ohne Schädel und Knochen nicht aus. Liest man die Texte jedoch genauer, stellt man fest: Eine Auseinandersetzung mit dem Tod findet nicht statt - abgesehen von (eigentlich sehr christlichen) Visionen der Apokalypse, der Verklärung von Drogenopfern und den Nachrufen auf die zu früh Verstorbenen.
Dead End Streets, fand der Musiker Jan Graber (*1966): Die westliche Gesellschaft frönt einer Realitätsflucht, die sich als Dauerparty und Kult der Faltenlosigkeit tarnt. Den Tod erträgt man dabei höchstens mit schwarzem Humor und dem Weichzeichner der Ironie.
Dead End Streets auch in der Rockmusik. Seit Jahren wird die immer engstirnigere Wiederholung innerhalb der Genregrenzen zelebriert. Die Zeitverschwendung solcher Leerläufe ist Graber allerdings ein Graus. Angetrieben von einem subtilen memento mori und in bester, widerspenstig-melancholischer Rock’n’Roll-Manier hat er sich dran gemacht, dem Sensemann einen normaleren Platz im Alltag zu verschaffen. Damit schlägt er ihm das sprichwörtliche Schnippchen – und den Fallstricken der Rockmusik gleich mit. Denn schliesslich heisst das populärste Missverständnis im Rock’n’Roll «it’s better to burn out than to fade away». Das endet meist im Überexzess statt im Ausschöpfen seiner Möglichkeiten. Und mehr pathosgeschwängerte Lieder über die Banalität des Unausweichlichen, fand Graber, braucht die Welt auch nicht.
Also traf er eine Auswahl von Gedichten aus eigener Feder und vertonte sie mit Musik und einer Handvoll Sprecher und Sprecherinnen – zwar ernsthaft doch ohne Mühlstein um den Hals. Entstanden ist «Tod gesagt»: Ein Album, das sich bewusst zwischen die Stühle und Bänke der Genres setzt, weil es dort herausfordernder ist. «Tod gesagt» ist süffiger als eine Lesung und schlauer als Rock’n’Roll. Das Grauen der Vergänglichkeit kontrastiert Graber mit der Dynamik des Rock und mildert dessen Ungestüm mittels Elektro und Jazz: eine Mischung, die die Texte einbettet statt sie festzunageln und sie zwischen Schrecken, Trost und Galgenhumor schillern lässt. In einer Vaudeville-Nummer lüftet er schliesslich den Schleier über dem grössten Schlächter aller Zeiten und man ahnt, dass der Tod so unausweichlich ist wie die Verantwortung, das Leben in vollen Zügen zu leben.
Mehr Auferstehungserlebnis bekommen Sie ohne kirchlichen Beistand nicht.
Text: Silvano Cerutti, 2006