„Das ist Pornographie. Das Vortreffliche an der Pornographie ist, dass sie eine globale Erklärung unserer Epoche darstellt. Was ist Pornographie? Sie ist eine Antwort auf die allgemeine Anorexie, die wir gegenwärtig erleben. Uns hungert es nach nichts mehr, und nicht zu Unrecht, denn ich wüsste nicht, wonach es uns noch gelüsten sollte. Unsere Augen und Ohren sind ebenso übersättigt wie unsere Bäuche. Die Pornographie ist etwas, was bei Menschen, die von allem zuviel haben, noch das Trugbild eines Verlangens erwecken kann. Darum ist die maßgebliche Kunst heute pornographisch; nur so kann sie durch Erregung eines falschen Appetits noch Aufmerksamkeit auf sich lenken. Und wir - wie sollen wir darauf reagieren? Ich für meinen Teil habe mich für eine Form der Askese entschieden, nämlich die eingestandene Frigidität. Ich habe auf nichts Lust, weil ich nichts empfinde. Denn für diese Pornographie ist auch das Publikum verantwortlich: Hätte es nicht so eifrig den Orgasmus simuliert, könnten die Künstler nicht länger so tun, als glaubten sie, dass den Leuten das gefällt.“ Am Ende meiner Predigt bemerkte ich, dass Ethel und Xavier mich voller Verwunderung anblickten. Ich vermutete, dass meine Antwort nicht recht zu der gestellten Frage passte. Genervt setzte ich auf den Überraschungseffekt, auf das Happening: Ich verabschiedete mich kurzerhand und ging, meine Angebetete hinter mir herziehend. „Was ist bloß in dich gefahren, dass du dich in einen philosophischen Exkurs über Pornographie stürzen musstest?“ „Was hatte er mich denn eigentlich gefragt?“ „Ob wir mit ihm ins Restaurant zum Austernessen gehen.“-_-_-_-_-_-_-_ Auszug aus dem Buch Attentat von Amelié Nothomb
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