Ein Kugelhagel aus zwei Maschinenpistolen zersiebte den Körper von Altan Yapici auf dem Weg zu seiner Luxuslimousine. Der 26jährige türkische Bordellwirt hatte an diesem 10. Oktober 1995 keine Überlebenschance; Gerichtsmediziner zählten 23 Einschüsse an seiner Leiche.Der Tod Yapicis vor dem Erfurter Nachtclub „Conny“ war eine Hinrichtung im Auftrag konkurrierender Rotlicht-Mafiosi. Zwei seiner Mörder wurden rasch gefaßt. Zu sicher hatten sich die Ukrainer Bogdan Blizniuk, 27, und Sergej Trubizyn, 31, gefühlt. Auch ihr Anführer Igor Sitnikow, 39, geriet ins Netz der Polizei.Dem dritten Killer gelang die Flucht. Was anfangs wie ein ordinärer Revierkampf zwischen osteuropäischen und türkischen Zuhältern aussah, entpuppt sich nun als handfester Skandal der thüringischen Innenpolitik. Im Prozeß gegen die drei Angeklagten kommen peinliche Tatsachen ans Licht.Immer wieder erhielten Halbweltler in der Vergangenheit Warnungen vor bevorstehenden Polizeirazzien. Illegal beschäftigte Prostituierte aus Osteuropa konnten jedesmal rechtzeitig von der Bildfläche verschwinden. Die geprellten Ordnungshüter argwöhnten bald einen Verräter in den eigenen Reihen, zumal der Erfurter Rotlicht-Boß Bernd Giese in einschlägigen Kreisen häufig mit seinen guten Kontakten zur örtlichen Polizei prahlte.Eine Sonderkommission (Soko) „Hecht“ versucht seit Monaten den Maulwurf zu entlarven. Erste Ermittlungsergebnisse sprechen dafür, daß es sich um den Ende November 1996 entlassenen Chefermittler im Thüringer Landeskriminalamt (LKA) Ulrich K. Sporkmann, 50, handelt.Der Kriminalist aus Worms avancierte 1995 ausgerechnet zum Leiter einer Soko im Bereich Organisierte Kriminalität. Offenbar wußten seine Erfurter Vorgesetzten nicht, daß Sporkmann in Rheinland-Pfalz rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung zu 15 000 Mark Geldstrafe bzw. elf Monaten Gefängnis verurteilt und in Unehren entlassen worden war.„Evidente Sicherheitsrisiken“, so das Innenministerium, seien damals „nicht erkennbar“ gewesen. Eine spätere Überprüfung belastete den dubiosen Kriminalbeamten jedoch schwer. Trotzdem blieb Sporkmann mehr als ein Jahr unbehelligt in leitender Stellung.Zu jener Zeit herrschte offenbar noch Eintracht zwischen Luden, Ganoven und Polizei. Genüßlich berichten Zuhälter vor Gericht über etliche Kripo-Männer, die ihre Freudenhäuser auch privat ausgiebig frequentierten.Die Idylle fand 1995 jedoch ein jähes Ende. Russisch-ukrainische Kriminelle mit Afghanistan-Erfahrung machten den etablierten türkischen Bordell-Größen das Geschäft mit Huren und Freiern, Schutzgeldern und Spielautomaten streitig. Dabei flogen nicht nur Fäuste, sondern auch Kugeln.Auf der Abschußliste stand Altan Yapici ganz oben. Schon Ende September 1995 lauerten ukrainische Killer unter dem Kommando von Igor Sitnikow ihm kurz hinter der Autobahnabfahrt Erfurt-West auf. Vier Geschosse schlugen in den Wagen des Türken, sein Beifahrer erlitt eine Schußwunde im Oberschenkel. Trotzdem traf das LKA keine Anstalten, Yapici oder seine potentiellen Mörder zu observieren. 14 Tage später war der Zuhälter tot.Danach begann ein internes Kompetenzgerangel. Erfurts Kripo-Abteilung im Polizeipräsidium und das LKA – seit langem verfeindet – kämpften um den spektakulären Mordfall. Auch nachdem die Staatsanwaltschaft ein Machtwort gesprochen und die Landeskriminalen mit der Untersuchung beauftragt hatte, dauerte es noch zwei Wochen, bis sämtliche Ermittlungsakten bei der Behörde eintrafen.Schlamperei und Vetternwirtschaft herrschen offenbar bei Thüringens Kriminalpolizei. Dennoch stellt sich Innenminister Richard Dewes, ein SPD-Mann aus dem Saarland, hinter seinen heftig kritisierten LKA-Chef Uwe Kranz, der u. a. die Einstellung Sporkmanns zu verantworten hat. Alle Vorwürfe seien „Unsinn, auf den man sich seriöserweise nicht einläßt“, behauptet Dewes. Eine derart laxe Haltung, kontert CDU-Innenpolitiker Willibald Böck, sei „katastrophal für das Sicherheitsempfinden der Bürger“.Der nächste Skandal folgte auf dem Fuß: Im Erfurter Mafia-Mordprozeß tauchten am sechsten Verhandlungstag plötzlich zwei Aktenordner mit Vernehmungsprotokollen und Durchsuchungsbefehlen auf, die in einem Büroschrank des LKA „vergessen“ worden waren. Dewes entließ daraufhin den LKA-Vizechef Wolfgang Göbel. „Ein klassisches Bauernopfer“, heißt es in Kreisen der Thüringer Polizeigewerkschaft. Eigentlich hätte Dewes-Intimus Kranz seinen Hut nehmen müssen. „Aber der darf machen, was er will.“Mittlerweile versuchen zwei Sonderkommissionen sowie Spezialisten des Bundeskriminalamts den mafiosen Dschungel in den eigenen Reihen zu roden. Erfurter und Geraer Staatsanwälte ermitteln wegen Korruption, Strafvereitelung und Urkundenunterdrückung.Das gegenseitige Mißtrauen unter Thüringens 7000 Ordnungshütern wächst. Im Erfurter Polizeipräsidium fürchtet man sogar, das LKA habe die hauseigene Telefonanlage angezapft. „Das ist erst die Spitze des Eisberges“, orakelt ein führender Polizeigewerkschafter. Minister Dewes vergeht angesichts der zahlreichen Peinlichkeiten seine demonstrative Gelassenheit. Auch er beklagt jetzt „organisatorische Mängel in der Dienstaufsicht“.Seinen Beamten verordnete der Politiker seit dem 19. März sicherheitshalber einen Maulkorb. Das Erfurter Landgericht darf inzwischen rätseln, wohin weitere Vernehmungsprotokolle von Zeugen im Yapici-Prozeß verschwunden sind.
R.I.P. Amca