Cocorico - Die kulturelle Ausnahme
Ein kabarettistisches Chansonprogramm
mit Marie Giroux und Stephan Ziron
Mein Gott, Frankreich! Muss Napoleons „grande nation“ eigentlich immer eine Extrawurst spielen und zur Wahrung seiner nationalen Identität die „Exception culturelle“, die kulturelle Ausnahme ausrufen? Gut, dieser Rivette-Film letztens auf der Berlinale, der war schon eine Ausnahme, nämlich ausnahmslos langweilig. Ja, die Geburtenraten sehen in Frankreich erfreulicher aus, es wird dort Eltern leichter gemacht, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Und die Haute-Couture, die Nouvelle vague, Champagner, Käse, Trüffel und Foie gras...
Nicht zu vergessen: das französische Chanson! Sagt Marie Giroux . Die ist Französin, aber sonst sehr charmant. Und da sie als gelernte Mezzosopranistin über eine klassisch geschulte Stimme verfügt, führt sie in ihrem Programm Cocorico – die kulturelle Ausnahme anschaulich den Beweis für ihre These: Französische Chansonniers sind besser. Bessere Komponisten, bessere Sänger und die besseren Verführer sowieso. Französische Männer haben nämlich Gefühl im Überschwang und bleiben dabei auf dem Teppich! Ja, mitunter mutieren sie sogar zum Bodenbelag, nämlich dem unter den Füßen der Geliebten, auf dem sie dann tanzen kann (in „Dansez sur moi“ von Claude Nougaro). Da muss Stephan Ziron , Giroux' deutscher Begleiter am Klavier, schon gegen halten. Bach oder Brel? Bruckner oder Brassens? Für Marie Giroux keine Frage. L’émotion c’est moi.
Kein Thema, so zeigt Giroux, dem französische Chansonniers sich nicht gewidmet hätten: Groupies, Hausfrauen, Motorradbräute, russische Intellektuelle („Nathalie“ von Gilbert Becaud), ja sogar Margaret Thatcher wird besungen. Miss Maggie?! Also wirklich, französische Musiker sind wahrlich nicht zimperlich, wenn es um Frauen geht.
Und sie geben auch praktische Lebenshilfe, stehen dafür geradezu mit ihrem Leben ein. Claude François beispielsweise für den unschätzbaren Rat, besser ohne Fön in die Badewanne zu gehen. Und dass gewisse französische Sängerinnen in aller Unschuld Anislutscher besingen, in einem Chanson, das ihnen gerissene Schwerenöter auf den jungendlichen Leib schrieben („Les sucettes“ von Serge Gainsbourg), auch das erfährt man in Cocorico – Die kulturelle Ausnahme.
Geburtshelfer dieser sehr eigenen Sicht auf ein kulturelles Phänomen ist niemand geringeres als Salon-HipHoper Thomas Pigor. Dass der ein formidables Faible für Französisches hat, ist spätestens seit seiner Hymne auf „Französische Frauen“ bekannt. Und, voilà , Marie Giroux hat tatsächlich ziemlich viel „oh la la la“: Mit Selbstironie und Eleganz führt sie vor, dass für eine Mezzosopranistin alles möglich ist: Von der Bach-Kantate bis zum Schlager, von Jazz bis zum Rap. Darin immerhin gibt es keine kulturelle Ausnahme.
Text: Friedhelm Teicke