About Me
"; I edited my profile at Freeweblayouts.net , check out these Myspace Layouts!
auf flucht!Fahr die Straße runter", hatte Stefan Freisinger* am Telefon gesagt, "und stopp vor der Bäckerei. Warte dort. Ich komm, wenn ich gesehen hab, dass du alleine bist." Er sprach schnell, hastig, mit heller Stimme und bayerischem Akzent, er war nervös, das war nicht zu überhören. "Bis dann", sagte er noch und legte auf.SPIEGEL ONLINE
Flüchtiger Stefan: "Ich habe Angst, dass sie mich finden"
Ein Mittwochmorgen gegen zehn, der Himmel über dem niedersächsischen Dorf strahlt in Blau, die Hauptstraße ist menschenleer, eine Kutsche fährt vorüber. Fachwerkhäuser, Kopfsteinpflaster, Gartenzwerge hinter Jägerzäunen, ein Bild wie aus dem Prospekt eines Tourismusverbandes. Ein Mann stiefelt breitbeinig die Straße herab. Seine Haare sind kurz geschoren, er trägt ein schwarzes Polo-Hemd, eine dreiviertellange Jeans, Turnschuhe, Ohrring. In der Hand hält er eine weiße Plastiktüte. Er sagt: "Ich bin Stefan. Lass uns fahren."Etwas später, ein Gasthof auf dem Land, immer noch Fachwerk. Auf den Holztischen liegen gehäkelte Deckchen, darauf verstreut Akten aus der Plastiktüte, von den Wänden glotzen ausgestopfte Tiere, Stefan erzählt. Nein. Es quillt aus ihm heraus, "der ganze Mist", wie er sagt, den er loswerden, aus dem er sich befreien will, und der doch - im übertragenen Sinne - so fest an ihm klebt, dass er sich kaum noch rühren kann. "Ich habe Angst", sagt Stefan, "dass sie mich finden werden."Verurteilt "im Namen des Volkes"Stefan Freisinger, 28, aus München ist ein Straftäter, ein Drogendealer, verurteilt "im Namen des Volkes" von der 4. Strafkammer des Landgerichts Memmingen zu zwei Jahren und acht Monaten Gefängnis, "wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Anbau von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln", wie es im Urteil heißt.Übersetzt bedeutet das: Das Gericht ist überzeugt, dass Stefan gemeinsam mit einem Freund Cannabis angebaut hat. 32 Marihuana-Pflanzen hatten die Polizisten noch sicherstellen können, als sie im Juli 2003 ein Gewächshaus im bayerischen Egg an der Günz durchsuchten. 14,28 Gramm des Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol (THC) fanden die Chemiker der Polizei in dem Grünzeug später, das entsprach einem durchschnittlichen THC-Gehalt von 1,8 Prozent. Nicht viel, aber es genügte.Stefan wurde verurteilt, weil ein Komplize, den die Kammer als "glaubwürdig" einstufte, gegen ihn ausgesagt hatte. Stefan selbst sieht sich als Opfer eines "Justizskandals" und beschwört nach wie vor seine Unschuld. Er habe mit der Sache überhaupt nichts zu tun und sei von seinem Kumpel nur belastet worden, damit dieser mit einer geringeren Strafe davonkomme. Weder sein Anwalt noch der Vorsitzende Richter teilen diese Auffassung, doch Freisinger ist so felsenfest davon überzeugt, dass er Anfang des Jahres abtauchte. "Ich gehe nicht in den Knast für etwas, das ich nicht getan habe. Ich bin auf der Flucht, um meine Unschuld zu beweisen", sagt er. Nur wie er sie beweisen soll, das weiß er noch nicht.
Stefan Freisinger ist einer der Straftäter, über die normalerweise nicht berichtet wird. Sein Fall - Routine. Nicht nur, aber auch für die beteiligten Juristen: "Nichts Auffälliges oder Herausragendes" habe es in dem Verfahren gegeben, sagt sein Anwalt. "Ein ganz normaler Vorgang", resümiert der Richter. Der Staatsanwalt sagt: "Ein Giftler halt" - und meint damit, dass Freisinger mit Drogen zu tun hatte. Berufung, Revision, alle Instanzen blieben sich einig, das Urteil wurde rechtskräftig. Stefan - noch auf freiem Fuß - sollte seine Haftstrafe antreten und verschwand. "Ich kann dafür nicht in den Knast gehen", sagt er.Denkt man an Menschen auf der Flucht, schießen Hollywood-Bilder in den Kopf. Rennende Unschuldige, Verfolgungsjagden, Blaulicht, Spürhunde, Schüsse. Das alles ist natürlich Unsinn. Jemand, der auf der Flucht ist, darf vieles nicht, aber vor allem darf er nicht auffallen. "Ich gehe nicht bei Rot über Straße. Ich werfe keine Kippen auf den Gehweg. Ich fahre nicht schwarz. Ich bin höflich und bleibe anständig", sagt Stefan. Der Straftäter als Vorzeigebürger - welche Ironie!Fahren Autos mit Münchner Kennzeichen vorüber, wird er gleich misstrauisch. Sitzen darin auch noch zwei Männer, flüchtet er in das nächste Geschäft. Sollte er dennoch eines Tages in eine Polizeikontrolle geraten, trage er natürlich keinen Ausweis bei sich, erzählt Freisinger. Dafür habe er immer den Namen, den Geburtstag und die Anschrift eines früheren Bekannten im Kopf, für den er sich dann ausgeben könne. "Die überprüfen, ob es die Person gibt, und dann lassen sie einen laufen", hofft Stefan. Vielleicht stimmt das sogar.Im Umgang mit der Polizei hat Freisinger nicht eben wenig Erfahrung. Sieben Mal ist er bereits verurteilt worden, zum ersten Mal mit 14, wegen Diebstahls. Es folgten unter anderem Strafen wegen Bedrohung, Beleidigung, Betrug und Raub. "Ich war ein typisches Straßenkind", sagt er heute und fügt nach einer kurzen Pause hinzu, was er darunter versteht: "Ich hab jedem aufs Maul gehauen, der dumm geguckt hat." Sein Vater habe "gesoffen", ihn regelmäßig verprügelt, da habe er irgendwann nur noch "raus" gewollt.Raus - das hieß "abhängen" mit den Kumpels in Münchens Problemvierteln Hasenbergl und Neuperlach, das hieß, die Tristesse vertreiben, die Zeit totschlagen, was erleben. Stefan trank und rauchte täglich, da war er zehn. Mit 12 kiffte er, mit 14 nahm er Kokain, Ecstasy, Speed, LSD. Mit 18 rauchte er Heroin, und als er 22 war, setzte er sich den ersten Schuss. "Ich wäre beinahe draufgegangen, da habe ich aufgehört. Einfach so", behauptet er und zuckt mit den Schultern. "Jetzt bin ich clean." Er wünschte, auch der Haftbefehl gegen ihn ließe sich ähnlich schnell erledigen.Das Leben auf der FluchtDas Leben auf der Flucht ist - entgegen der landläufigen Meinung - aufzehrend, anstrengend und öde. Freisinger hat kein Geld, kann keine Freunde besuchen. Er darf seine Familie nicht sehen, kann nicht ausgehen, keinen Sport treiben, kaum telefonieren - zu groß ist die Angst, gefasst zu werden. Er ist ein Einsiedler, das macht ihn fertig. Ein bisschen ist es, als säße er schon im Gefängnis. "Ich habe den langweiligsten Alltag, den man sich vorstellen kann", sagt Stefan. "Ich kann nicht arbeiten, weil niemand mich ohne Papiere anstellen will. Ich habe nichts zu tun und brüte so vor mich hin. Stundenlang."Nichts ersehnt Freisinger, der sich früher auf der Straße als gefährlicher Gangster gebärdete, inzwischen sehnlicher als eine bürgerliche Existenz. "Ein Zuhause, Familie, Arbeit. Ich will etwas aus meinem Leben machen." In der Wohnung seiner Freundin oder eines Kumpels hockt er, raucht losen Tabak der Marke "Drum", den er sich kaum noch leisten kann, und denkt darüber nach, wie er das belegen kann, was er für die Wahrheit hält. Er träumt von einem Wiederaufnahmeverfahren, davon, denjenigen überführen zu können, in dem er den Täter sieht.Für ein Wiederaufnahmeverfahren bräuchte es neue Beweise. Man müsste beispielsweise dokumentieren können, dass der Hauptbelastungszeuge vor Gericht gelogen hat, dann könnte der Prozess neu aufgerollt werden. Außerdem bedarf es Geld, um einen Anwalt zu bezahlen. Freisinger hat kein Geld, er hat keine Beweise. "Aber ich will nicht aufgeben. Ich bin doch unschuldig."Es gibt keine Hoffnung und kaum noch Möglichkeiten, eigentlich nur die beiden: Entweder Freisinger lebt weiter in der Illegalität, ohne Perspektive, ohne Zukunft und auf anderer Leute Kosten. Früher oder später wird er dann wohl straffällig und irgendwann auch gefasst. Oder er stellt sich gleich und geht ins Gefängnis, für eine Tat, die er nicht begangen haben will. "Aber wenn ich wieder in den Knast muss", sagt er mit belegter Stimme, "dann rutsch ich richtig ab."Was wird er tun?