Irgendiwe helfen?!
Ein Freund von mir macht grade eine schwere Zeit durch. Ich wurde gebeten, ihm zu helfen. Manche denken, das mache ich, aber die kennen mich nicht. Haben von dem Freund eines Freundes gehört, ich bewältige Krisen. Bringe Dinge in Ordnung und, ich weiß nicht, was man sich erzählt, bin so eine Art Radiergummi, nein, ein Tintenkiller, der aus dem Buch des Lebens ein paar Zeilen löscht und was Neues hineinschreibt. Die denken, das wäre so leicht, aber ich hab eine krakelige Handschrift.
Der Freund wohnt in einem Einfamilienhaus, hat mir seine Frau erzählt. Sie ist schuld an der schweren Zeit und als Abschiedsgeschenk hat sie mich angerufen. Und billig bin ich nicht, aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich nach Rabatten erkundigen. Ich hab schon überlegt, ob ich mich mit „Tintenkiller“ melde, jemanden einstelle, der meine Termine koordiniert. Vielleicht schalte ich mal eine Anzeige, wenn es sich schon rumspricht. Man hilft einem Freund, hilft noch einem, hilft dem Freund eines Freundes, später jedem, der bezahlen kann.
Er wohnt in einem Einfamilienhaus am Fluss. Er ist ein ruhiger Mann, frisst den Ärger in sich hinein. Sackgasse im Job, lässt sich gehen. Keine Visionen mehr, keine Ziele, wohl auch kein rechter Kinderwunsch. Das hat man oft. Wenn mich jemand fragt, sag ich immer: Kinder. Das schweißt zusammen. Ohne Kinder ist nach vier, fünf Jahren Schluss. Mit Mitte Dreißig auf jeden Fall.
Ich soll’s schön machen, sagt die Frau am Telefon, die mich noch nie gesehen hat, die wahrscheinlich von einer Friseurin mit Pudelhaar von mir erfahren hat. „Machen Sie’s ihm doch schön“, hat sie am Telefon gesagt, als würde ich sonst nur schlampen. Dann hat sie sich zwei, drei Schluchzer aus der Kehle gepresst und unter Tränen genuschelt: „Ich hab ihn ja schon noch lieb.“
„Dann bleiben Sie doch bei ihm“, will ich sagen, tue es aber nicht.Ein ruhiger Mann, frisst viel in sich hinein, man macht sich Sorgen.In einem alten Lied heißt es: Die Liebe zu verlieren, wäre wie ein Fenster im Herzen.
Wenn es nur so einfach wäre, man könnte das Fenster schließen. Aber es reicht nicht. Durch die Fugen zieht es noch. Du musst mit Kelle und Schaufel anrücken, die Ziegel stapeln, gut verspachteln und dann soll das Ganze auch noch schön aussehen. Also verputzen.Ein Fremder öffnet mir die Tür. Untersetzt, ein lindgrünes Hemd an, aber glattrasiert, da hab ich schon Schlimmeres erlebt.„Ja?“, fragt er.
„Hallo“, sage ich mit tiefer Stimme, ich muss ein wenig nach unten sprechen, er ist kleiner als ich.„Ja?“, fragt er noch einmal.„Das ist immer schwer zu erklären. Und im Stehen geht es fast gar nicht. Ich will Ihnen nichts verkaufen, oder so, und an Gott glaub ich auch nicht. Ich bin auch kein Therapeut. Ich weiß auch nicht.“„Hm“, macht er. Und ich denke mir, dass ich endlich einen Spruch brauche, eine gewisse Routine entwickeln muss, aber ich denke auch jedes Mal, es reicht. Denke jedes Mal, es ist genug, und ich mache das nie wieder. Und ich habe genug Freunde für ein Leben lang, genug für zwei.Seine Augen: Stumpf. Weiß nicht, ob’s durchs Fenster zieht.„Ich bringe Dinge in Ordnung“, sage ich.„Hm“, macht er und will die Tür schon schließen.
„Kommen Sie“, sage ich. „Ich bin einer von den guten Jungs. Ich kann Ihnen wirklich helfen. Ich mein, jetzt funktionieren Sie ja noch, aber das wird nicht besser, glaub ich. Wenn Sie Zahnschmerzen hätten oder was mit Ihrem Fuß nicht in Ordnung wäre, dann würden Sie ja auch nicht warten, bis es von alleine besser wird, oder?“Er sagt nichts, hält die Hand an der Tür, aber schließt sie nicht.„Ich bringe Dinge in Ordnung“, sage ich und zeige auf den Türspalt mit flach ausgestreckter Hand. Körpersprache ist wichtig.
Jedes Fenster ist letztendlich verschieden, jeder Schmerz gleich. Wir sind alle wie Schneeflocken, aber Schneeflocken fallen von oben nach unten, sind weiß und wenn es wärmer wird, schmelzen sie.„Kann ich Ihnen etwas anbieten?“, fragt er mich.Ich sage: „Ja, einen Whiskey, wenn Sie haben.“
Er schaut mich an, dann verhuscht auf die Uhr des DVD-Players und geht ein Glas suchen. Er weiß nicht, wo die Gläser hier sind. Seine Frau weiß so was. Ich sehe ihm zu, wie er sucht, dort ein Regal auf – ein paar Cornflakes drin. Dort sind die Töpfe, da Backpapier und, ach, hier: Die Gläser. Der Whiskey ist in der Bar. Die Bar in eine Bücherwand eingelassen. Die kennt er gut.„Ich trinke gerne Whiskey“, sage ich.„Es ist ein Glenfiddich“, sagt er.
Doch ich winke ab und meine, das spiele nun wirklich keine Rolle, ob er denn nicht auch –„Nein“, sagt er. „Nicht vor achtzehn Uhr.“ Was ich wolle? Ob mich seine Frau geschickt habe? Ob sie sich Sorgen um ihn mache? Ob die Firma mich engagiert habe? Was ich wolle?Der Whiskey schmeckt scharf. Ich habe keine Ahnung von Whiskeys, ich schmecke nur immer, dass sie scharf sind. Rauchig, vanillig, würde ich sagen, wenn mich wer fragt. Aber es wäre gelogen.
Er steht vor mir mit seinem grünen Hemd und ich sitze in seinem Sessel, trinke seinen Whiskey und bringe Dinge in Ordnung.Irgendwann merkst du, dass es falsch war. Ich glaub, das geht jedem so. Man wacht morgens auf und merkt: Es war falsch. Man hat den Preis nicht gesehen oder man hat ihn gesehen und sich gedacht: Ich weiß nicht.Der Fremde in dem grünen Hemd wird unruhig. Tippelt von einem Fuß auf den anderen.Ich sage: „Setzen Sie sich doch.“Er schleicht unsicher zum Sessel, setzt sich, verschränkt die Hände vor der Brust.„Können Sie bitte die Hände einfach, so wie ich, ganz offen auf die Stuhllehne. Ja, das ist besser so, für die Atmosphäre. Man ist sonst so verschränkt, wissen Sie. Einfach zu. Mit dem Kreuz. Das macht es nicht leichter. Ich tu Ihnen nichts, wenn Sie wollen, dann holen Sie sich eine Waffe, oder so. Wenn Ihnen das hilft, dann nehmen Sie doch ein Messer. Ich glaub, vorhin hab ich welche gesehen, in der Schublade, da drüben.“Er sagt nichts.Wir sitzen drei, vier Meter auseinander, während ich anfange, Dinge in Ordnung zu bringen. Unter seiner Brust sehe ich das Wollknäuel. Die schwarzen Fäden darf man nicht anfassen. Die blauen sollte man besser in Ruhe lassen. Die grünen, die roten, damit kann man was machen. Er ist sofort weg, schließt die Augen, schaut mich vorher noch an und schließt dann die Augen. Eine Operation am offenen Herzen. Keiner versteht den Witz. Manchmal sage ich, ich wäre Herzchirurg. Früher hab ich das gesagt, als mich noch wer gefragt hat.Ein grüner Faden schlängelt sich durchs ganze Knäuel, fängt tief in der Mitte an, vielleicht ab der Hälfte, kreuzt ein paar rote Fäden, auch einen kurzen hellgrünen. Vielleicht eine Geliebte mal. Jemand aus dem Büro. Mit spitzen Fingern nestle ich in ihm umher. Ziehe Stück für Stück den Faden heraus. Millimeter um Millimeter. Knicke ihn, man kann ruhig robust sein, wickle ihn auf und ab. Als ich einen schwarzen Faden streife, läuft es mir den Nacken herunter. Ich hasse diesen Teil.Endlich hab ich den langen Faden in der Hand, ganz glitschig ist er – wie ein Regenwurm. Ich lasse ihn durch meine Finger gleiten und nippe am Whiskey. Ich leg ihn erstmal weg, ich kann ihn nicht mehr sehen. Dann beginnt der kreative Teil. Ich greife ins Nichts und ziehe einen Faden aus der Luft. Er ist glatt und warm wie ein Pyjama, den man auf die Heizung gelegt hat, damit man es nach einer kalten Dusche warm hat.
Ich ziehe den Faden und wickle ihn um meinen Finger, streiche mit der Zunge entlang, spüre ihn auf meinen Geschmacksknospen. Ich mach es ihm schön. So schön, wie es nur geht. Eine junge Frau, mochte Katzen und auch Wolle Petry,nein,Reinhard Mey.Liebe auf den ersten Blick bei ihr,Bequemlichkeit bei ihm.Ihre Freundinnen nervten ihn von Anfang an, Reinhard Mey sowieso.Kochkünste gut,im Bett etwas leidenschaftslos.Die Liebe gepflegt wie einen Apfelbaum.Irgendwann abgeerntet.Morgens mal aufgewacht und gemerkt:Was falsch gemacht.Entliebt.Auseinandergelebt, die üblichen Klischees.Ich gestehe:An dieser Stelle schlampe ich immer ein wenig.Meine Zunge ist schon rau, als der Faden fertig ist.Ich pflanze ihn ein,verwebe ihn ins Knäuel,bringe Dinge in Ordnung.Von den schwarzen Fäden halt ich mich fern,auch von den blauen.Ich wickle ihn um ein paar rote; und den kleinen, hellen grünen:Den zieh ich noch ein bisschen länger.Mach ihn ein bisschen straffer. Soll ja schön sein.Ich nippe noch einmal am Whiskey und schaue ihn mir an.Er rebootet.Ich kann seine Augen flattern sehen unter den Lidern.Der glitschige Faden liegt neben dem Whiskey wie eine schimmlige Spaghetti.Ich schaue an die Decke.Denke,es ist das letzte Mal. Dann schließe ich die Augen und öffne den Mund weit, fingere auf dem Tisch umher,bis ich den Faden endlich in der Hand habe und drücke ihn mir in die Speiseröhre,an einem Stück. Schlucke ihn herunter,kneife die Augen dabei zu,muss würgen und endlich,als er unten ist,kann ich den Whiskey ansetzen und spülen,spülen,spülen.Er schmeckt scharf,in meinem Bauch wird es warm.Mein linker Arm zittert,als seine Bilder kommen.Tränen schießen mir in die Augen,als ich Schmerz spüre,doch er:Wie poliert.Der Gram weg,mehr Zufriedenheit.Kein Glück,so gut bin ich nicht.So gut ist niemand.Glatte Zufriedenheit.Irgendwie beige.
„Hallo“, sagt er, die Augen noch geschlossen. „Da bist du ja, ich hab dich lange nicht gesehen.“„Danke für den Whiskey“, sage ich.„Ach, du musst schon gehen?“„Jupp.“
„Ich kann dich ja mal anrufen, dann können wir zusammen auf die Piste gehen.“„Klar“, sage ich. Er hat ja meine Nummer nicht, glaubt nur, dass ich sein Freund bin, ich weiß nicht, warum das so ist.„Bleib sitzen“, sag ich. „Ich find dann schon allein raus. Siehst gut aus. Wir sollten wirklich mal auf die Piste gehen. Paar Schnecken checken und so.“
Auf dem Weg nach Hause seh ich eine Frau. Blauer Parka, Kätzchengesicht, hat Sternenstaub in den Haaren und Mondlicht in der Brust.
Ich spreche sie nicht an.