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Als in den 1990ern in Puerto Rico rätselhafte Tiermorde passierten, bildete sich der moderne, urbane Mythos von jenem Wesen, das nachts vampirgleich über das Vieh herfällt. Fast in allen lateinamerikanischen Länder wurden wenig später Exemplare des Chupacabras gesichtet – eine klassische Massenhysterie. Nennt sich eine Band nach diesem doch eher unseligen Fabeltier, so fragt man sich natürlich: Was hat sie mit ihm gemeinsam?
Nun, die siebenköpfige Combo saugt ebenfalls ihr Blut aus allen möglichen lateinamerikanischen Kulturen, sie machen das urbane Leben – in diesem Falle das von Köln! – ein wenig magischer, und eine Massenhysterie lösen sie zumindest aus, wenn sie auf der Bühne stehen.
Ihre Geschichte begann 2002, als der Sprechsänger El Cholo (bürgerlich Richard Guerra) und der ebenfalls rappende Miguel Igler die Vision von einer HipHop-Latino-Fusion verwirklichen wollten. Der 1996 nach Deutschland gekommene Peruaner und sein Schulfreund hatten zunächst in einem Trio mit DJ gewirkt, trommelten dann aber eine Liveband zusammen um bei „Rock am Teich“ aufzutreten.
Am Rhein fand sich denn auch ein recht heterogenes Septett zusammen: Der Mexikaner Josué Avalos (auch bekannt von La Papa Verde) übernahm die dritte Sängerrolle und bedient zudem eine Gitarre zwischen schmachtendemTon und stolzer Flamenco-Attitüde. Dimitri Chrissomallis, griechischstämmiger Drummer aus Lüneburg mit Metal-Vergangenheit und Jazz-Studium, sowie der niedersächsische Keyboarder Matthias Kuhlgatz, nebenbei auch Tanzlehrer, sorgen für weiteres multinationales Kolorit. Trompetenakzente von Markus Koch und der federnde Akustikbass des Sven Ovstrowski komplettieren den unbändigen Sound.
Dass sie einen Ehrenplatz in Kölns Mestizo-Szene beanspruchen, haben Chupacabras durch unzählige Liveshows schon geltend gemacht. Nun gibt’s die Ziegenlutscher auch auf CD. Das Debüt „Fieras“ („Wilde Tiere“) gibt sich genauso ungezähmt wie der Pate stehende gehörnte Kinderschreck. Nach einer knackigen Fanfare im Intro stürzt man sich gleich in eine Mixtur aus Flamenco, Mariachi und Reggae, die nahtlos in den knallharten, aber trotzdem sehr handgemachten Dancehall-Titel „Baila“ einschwenkt. „Cumbia“ wirbelt zunächst als handfester Rap-Rock über die Bretter, wechselt unvermittelt das Tempo und wiegt sich dann im kolumbianischen Tanzschritt. Ein Zwitter aus HipHop und Salsa präsentiert sich mit „Atención“, die sicherlich rasanteste Sprechfeuer-Passage von Miguel Igler, garniert durch eine schöne Einlage auf der Akustischen. Und überhaupt schaltet man zwischendurch auch mal eine Gangart zurück: „Pachamama“ schlurft zuerst als gemütlicher Cumbia-Reggae inklusive lupfigem Akkordeon vorüber, der zunehmend an Schärfe gewinnt. Ein richtig lyrischer Rap ist „La Isla“ geworden, mit jazzigen Piano-Phrasen, swingendem Bass und einem traumgleichen Text über verlorene Liebe. Und die vielzitierte Credibility, unerlässliches Qualitätssiegel einer Mestizoband? Auch die gibt’s natürlich bei den Multikulti-Kölnern: „Cuando Tiempo Más?“ ist ein machtvolles Statement gegen Habgier, Dolce Vita-Gleichgültigkeit, über die Sackgassen Droge und Prostitution – fulminant in heranbrausendem Kollektiv-Rap und herausgebrüllter Wut umgesetzt. Ein würdiges Finale schließlich im Titelstück, das unter dem verbalen Maschinengewehr der drei Poeten mühelos zwischen Latinrock, Samba-Anflügen und Roots Reggae umhertaumelt. Nach dem Genuss der zwölf Titel steht fest: Auch Deutschland ist von der Realität dieser mysteriösen Sagenkreatur eingeholt worden.
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